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Lebensgemeinschaft Schloss Glarisegg

Anfang Mai erhielt ich den Newsletter aus der Lebensgemeinschaft Schloss Glarisegg. Darin wurde unter anderem erwähnt, dass es für eine Intensiv-Kennenlernwoche, der demnächst stattfindet, noch drei frei Plätze hat. Eigentlich war Glarisegg aus diversen Gründen nicht auf meinem Plan oder meiner Favoritenliste. Aber nun, da in Deutschland die Dinge nicht vorangehen, sämtliche Kennenlern-Wochenenden und -Seminarien und auch Helfereinsätze immer wieder verschoben oder gar ganz aufgehoben wurden und noch immer werden, weil die Regierung damit nicht einverstanden ist, entschied ich mich kurzentschlossen, die Gelegenheit zu nutzen, und in der schon "freieren" Schweiz mich meinem "Lieblingsthema" anzunähern, und meldete mich für dieses Seminar an. Ich hatte Glück und bekam noch einen Platz für den Kurs, leider keinen zum Schlafen! Aber das Glück stand mir auch mit einem Schlafplatz bei einer Freundin in der Nachbarsgemeinde Eschenz bei. Ich schätzte es sehr, am Abend in die Ruhe gehen zu können. Auch erst am Mittag wieder zu essen kam meinen Gewohnheiten sehr entgegen. Die Fahrt von Steckborn nach Eschenz, dem See entlang, tat mir wohl und verhalf mir jeden Tag wieder zu Abstand.  

 

Wir fingen jeden unserer gemeinsamen Tage morgens um 10h mit einem Morgenkreis an. Alle, die wollten - aus unserem Seminar und auch aus der Gemeinschaft - versammelten sich im Schlossgarten, um gemeinsam zu singen, uns einen Moment bewusst zu sammeln, innezuhalten und auch ein wenig zu feiern! So schön waren diese kleinen Momente, bevor ein Teil von uns die notwendigen Gartenwerkzeuge holte, um uns dem Un- und Mitkraut zuzuwenden. Andere aus der Truppe machten andere Dinge, wie einen Ententeich von seinem Schlamm befreien und Rohre zu verlegen. Diese Truppe war jeden Mittag mit Schlamm eingeschmiert, und jeden Morgen wieder aufs Neue wollten sie in die gleiche Gruppe und die gleiche "Drecksarbeit" machen! Ist das nicht unglaublich? Aber es scheint, dass diese mühselige und auch harte Arbeit, sie zusammengeschweisst hat und wohl auch eine Art Ehrgeiz entstand, die Aufgabe gemeinsam zu Ende zu bringen. Auch wir, die wir uns dem Unkraut zugewendet hatten, wollten unsere Beete zu Ende jäten. Ein Teil unseres Jätmaterials landete übrigens regelmässig in der Küche, bzw. auf unseren Mittagstellern! Noch ein "Übrigens": die vegetarische Küche in Schloss Glarisegg ist wunderbar, einfach herrlich köstlich und jeden Tag eine Freude! 

 

Ein Teil unserer Truppe von 10 Leuten war gleichzeitig am Probewohnen und ein Teil war wenige Wochen vorher an einem Kennenlernwochenende. Der Rest von uns waren komplette oder halbe Neulinge. Ein Teil von uns schlief im Zelt oder Camper und ein Teil fuhr nach Hause. Der grössere Teil aber schlief in mittleren Schlafräumen mit etwa vier Personen. 

 

Am Vormittag hatten wir also unsere Aufgaben im Garten. Da bei dieser Arbeit auch ein oder zwei Gemeinschaftsmitglieder mit dabei waren, erwies sich diese Zeit auch als schöne Gelegenheit, diverse Fragen an die MitgliederInnen loszuwerden und verschiedene Ansichten und Meinungen zu hören, aber auch ,um mit den SeminarkollegInnen ins Gespräch zu kommen.  Am späteren Nachmittag und am Abend hatten wir jeweils unsere Intensiv-Sessions. 

 

Wir haben unter anderem zwei wichtige Kommunikationsformen kennengelernt. Der WIR-Prozess nach Scott Peck und das Forum, welches in den Ökodörfern ZEGG und Tamera entstand.  

 

 

Die Gemeinschaftsbildung nach Scott PECK findet in vier Phasen statt:

  1. Verliebtheit, Pseudogemeinschaft (freundlich, höflich, oberflächlich, keine Schwächen zeigen)
  2. Chaos- / Differenzphase (Unterschiede werden deutlich, Streit, Ineffektivität, keine gegenseitige Anerkennung)
  3. Leere: Entleerungs- / Loslassens-Phase (Zeigen von Verletzlichkeit, Umgang mit Reue, Entstehung von Wertschätzung und Frieden trotz Unterschiedlichkeit)
  4. Authentische Gemeinschaft (Authentizität, Integrität und tiefe Liebe im Miteinander)

Kommunikations-Empfehlungen für ein neues WIR

  • Gehe ein Risiko ein.
  • Bitte sprich von dir und deiner momentanen Erfahrung (erforsche dich, doziere nicht).
  • Erkenne den Wert von Stille und Schweigen in Gemeinschaft.
  • Bitte überprüfe deine Intention, bevor du eine Frage stellst.
  • Bitte sprich nicht, wenn du nicht dazu bewegt bist.
  • Frage bewusst um Erlaubnis wenn du Ratschläge, Interpretationen, Analysen und Bewertungen geben willst.
  • Formuliere nicht schon eine Antwort, während der andere noch spricht.
  • Bitte sage deinen Namen, bevor du sprichst (freiwillig).
  • Bitte respektiere (absolute) Vertraulichkeit.
  • Bitte sei beteiligt, mit oder ohne Worte, sei emotional anwesend in der Gruppe.
  • Bitte sprich in der Ich-Form.
  • Fehler sind immer erlaubt.
  • Bitte drücke dein Missfallen in der Gruppe aus, nicht außerhalb vom Kreis, denn es kann bereichernd sein.
  • Bitte höre aufmerksam und mit Respekt zu, wenn dir eine andere Person etwas mitteilt.
  • Bitte schließe ein, vermeide jemanden auszuschließen, auch dich selber nicht.
  • Lade die Stille ein wenn du dich danach fühlst.
  • Höre auf deine innere Stimme und sprich wenn du dich dazu bewegt fühlst.
  • Bitte bleibe bis zum Ende der Runde (wenn nicht auch kein Drama).

Forum

Es handelt sich dabei um eine Methode der Transparenten Kommunikation für Gruppen. Die Gruppenmitglieder formen mit einer wertschätzenden, achtsamen Haltung einen Kreis. Nun sind Einzelne dazu eingeladen in die Mitte zu treten und sich in diesem geschützten Raum mit ihren persönlichen Themen und ihrer Verletzlichkeit zu zeigen. Im Forum ist alles erlaubt, zum Beispiel auch überspitzte, theatralische Darstellungen. Eine Regel ist jedoch, dass die Person in der Mitte keine Personen direkt anspricht sondern nur in der dritten Person von ihnen redet. Grund hierfür ist, dass der Fokus auf den eigenen inneren Themen gehalten wird. Es gibt die Möglichkeit von einer ModeratorIn Anstöße und Fragen zu bekommen.

Nach dem Verlassen des Kreises können andere auf Rückfrage das Erlebte kurz spiegeln. Die Methode ermöglicht der Gruppe Anteil aneinander zu nehmen. Der Bewusstseinsfokus der Gruppe unterstützt die Person in der Mitte dabei, sich der eigenen Themen bewusster zu werden, wodurch häufig heilsame Momente entstehen.

 


Ich möchte euch hier gerne von meinen Erlebnissen im "Scott-Peck-Prozess" erzählen. Ich weiss gar nicht mehr, wie lange wir mehr oder weniger still beisammen sassen. Aber es waren bestimmt zwei Sitzungen an zwei Tagen zu jeweils 1,5 Stunden, wobei es darum ging,  persönlich zu erfahren, um was es bei diesem WIR-Prozesses wirklich geht, was er bedeutet und was er möglich macht. 

 

Die Erfahrung des WIR-Prozesses war für mich sehr intensiv. Manchmal hatte ich mich in dieser Zeit gefragt, was das alles soll! Für was wir hier still zusammensitzen, wo wir doch so viele Fragen haben und soviel zu besprechen! Draussen schien die Sonne und wir sitzen hier drin und schweigen uns an! Oder dann macht irgendjemand etwas, wo man nicht einverstanden ist oder was einen stört. Und es bricht heraus, will gehört werden! Ich war immer mal wieder nahe daran, aufzustehen und zu gehen. Ich machte den Leitern sogar Vorwürfe, dass sie so teilnahmslos dasassen, scheinbar ohne Mitgefühl und Leitung. Doch dann, nach einer Weile, wenn ich genug gelitten hatte, wandelte sich das Gefühl und es entstand ein grosses Einverstanden-Sein mit dem was ist. Sogar mehr, es war ein Eintauchen in diese gemeinschaftliche Stille, die wirklich stark war! Zu spüren, wie sich "Dramen" in Luft auflösen können und zu erfahren, wie sich in mir ein tiefer Frieden breit macht... das war echt "bahnbrechend" für mich!

 

Auch das Forum empfand ich als sehr heilsam. Mich offen zu zeigen mit meinen Gefühlen und meinem inneren Chaos, das brauchte Überwindung! Interessanterweise erwies sich meine Angst als viel zu überspitzt! Natürlich war Unsicherheit da und vielleicht auch anfänglich irgendwelche Befürchtungen, aber ich wurde auch getragen von so vielen liebevollen Augen, Ohren und Herzen! Ich habe das Gefühl, dass sich eine Art Spalt aufgetan hat... schwierig zu erklären... ich habe eine Idee oder Ahnung davon bekommen, was alles möglich ist, wenn man sich öffnet und vertraut, wenn man den Weg geht, wo auch Ängste sind. Wenn man diese Schritte in einem geschützten Rahmen machen kann, dann wird ganz viel möglich, so glaube ich. 

 

Irgendwann meldete sich in mir auch eine Traurigkeit. Eine Zuwendung von Illona z.B. und schon liefen die Tränen! Oder das Singen im Morgenkreis berührte mich auch so dermassen! Aber es waren nicht Tränen der Verzweiflung oder abgrundtiefen Traurigkeit über irgendetwas Bestimmtes. Es war mehr ein tiefes Berührtwerden, und damit einhergehend ein Einverstandensein damit. Es war für mich neu, solche Gefühle in grosser Runde nicht wegzudrücken. In mir hat sich etwas verändert. Und ich weiss, dass ich diesen Weg weitergehen will. 

 

 

 

Ich glaube, dass diese "Tools" grossartige Hilfen sind, um ein echteres Gefühl für sich und für eine Gemeinschaft zu entwickeln. Sie fordern uns zwar heraus, aber ich glaube, dass wir dringend neue Wege beschreiten sollten, um unser Miteinander auch auf dieser Ebene für uns und für alle, die nachkommen, wieder attraktiver und nachhaltiger zu machen. Für mich ist dies ein starker Grund, wenn nicht überhaupt der Wichtigste überhaupt, um in eine LG zu gehen. Die Möglichkeit, zu üben und mich zu entwickeln! Und dann diese belebende Erfahrung zu teilen und vielleicht sogar auch in die Welt hinaus zu tragen. 

 

 

Schloss Glarisegg ist mir nun mit dieser Erfahrungswoche wirklich näher ans Herz gerückt. Der nächste Schritt würde bedeuten, dass ich 3 Wochen Probewohnen mache. Doch auch wenn ich mich für diesen Platz entscheiden würde, ist es nicht sicher, ob ich auch aufgenommen würde. Ich bin mit 58 Jahren nämlich nicht mehr unter den favorisierten Neumitgliedern, also schon fast zu alt. Ausserdem ist der Wohnplatz sehr knapp. Die Vision von Glarisegg sieht eher Aussenstellen z.B. im nächsten Ort Steckborn vor. Das heisst, man würde sich entweder alleine oder zusammen mit anderen dort eine Wohnung/Haus suchen, um zu wohnen, aber trotzdem Mitglied sein und an allen Zusammenkünften und Anlässen teilnehmen.

 

Für mich fehlen allerdings zwei wichtige Elemente: das gemeinsam Kochen und Essen und Wohn-und Essräume, die nur für die Gemeinschaft da sind. Der Seminarbetrieb ist ein wichtiger und zentraler Bestandteil und natürlich auch Einnahmequelle für die LG. Die Gemeinschaftsmitglieder treffen sich so lange das Wetter gut ist draussen. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist dies bei schlechtem Wetter oder im Winter nicht mehr möglich, und sie müssen sich gegenseitig in ihre "private" Räumlichkeiten einladen. 

 

Ich werde mich hier und heute auf keinen Fall auf irgendein Plus oder Kontra fixieren. Ich durfte viel erfahren, lernen und erkennen. Allein dafür bin ich mega dankbar. Die Reise wird weitergehen. Ich hoffe, ich kann im Laufe des Sommers doch noch die eine oder andere Gemeinschaft in Deutschland kennenlernen.